Orts- und zeitflexibles Arbeiten –Regulierung der Arbeitszeit im Spannungsfeld zwischen Flexibilität und Gesundheitsschutz

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Orts- und zeitflexibles Arbeiten –Regulierung der Arbeitszeit im Spannungsfeld zwischen Flexibilität und Gesundheitsschutz

Autoren: Mario Daum und Claus Zanker, INPUT Consulting gGmbH, Stuttgart

Abstract:

Im Teilvorhaben „Entwicklung von Gestaltungs- und Regulierungslösungen vernetzter Arbeitsformen“ des Projekts TransWork werden bisherige Regulierungs- und Gestaltungslösung für Arbeit dahingehend untersucht, ob deren Zielsetzung und Regelungsinstrumente angesichts veränderter Rahmenbedingungen durch die Digitalisierung noch ausreichend sind oder eine Anpassung an neue Gegebenheit erforderlich ist. Auf Grundlage dieser Analyse und unter Berücksichtigung von Good-Practice werden themenbezogene Gestaltungs- und Regulierungslösungen für digital-vernetzte Arbeitsformen entwickelt. Der vorliegende Beitrag zeigt verschiedene Spannungsfelder zwischen Arbeitszeitflexibilisierung und der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anhand der Diskussion über die Veränderung des Arbeitszeitrechts und dem arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisstands zu den Chancen und Risiken orts- und zeitflexiblen Arbeitens.

Digitale, mobil-vernetzte Arbeitsmittel wie Notebooks, Tablets und Smartphones sind wichtige „Enabler“ für eine weitreichende räumliche und zeitliche Flexibilisierung von Arbeit, wie sie heute in vielen Tätigkeitsbereichen zu beobachten ist. Arbeit ist somit nicht mehr an eine Betriebsstätte gebunden und kann auch außerhalb bestehender Betriebszeiten „anytime, anyplace“ erledigt werden (vgl. Schwemmle/Wedde 2012). Mit der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort ergeben sich Spannungsfelder zwischen den Flexibilisierungsinteressen von Unternehmen und Beschäftigten, die nicht immer deckungsgleich sind und entsprechend austariert werden müssen (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2017: 78) Auch zeigen sich vielfältige Widersprüche zwischen den Humanisierungspotenzialen höherer Autonomiespielräume sowie einer verbesserten Work-Life-Balance von Arbeitnehmer/innen einerseits und den negativen gesundheitlichen Folgen einer höheren Orts- und Zeitflexibilität andererseits, die sich nicht selten in Form eines zunehmenden Arbeits- und Leistungsdrucks, hohen Ansprüche an die Selbstorganisation bei der Arbeit, langen Arbeitszeiten und einer erweiterten zeitlichen Verfügbarkeit der Beschäftigten zeigen (vgl. Carstensen 2015; Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2017).

In diesem Kontext wird eine intensive politische und wissenschaftliche Debatte geführt, inwieweit die bisherigen Ziele und Instrumente der Arbeitsregulierung und -gestaltung den neuen Anforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, noch entsprechen und ob in diesem Zusammenhang die zugrundliegenden rechtlichen Vorschriften einer Modifizierung bedürfen. In Bezug auf die Arbeitszeit stehen insbesondere die im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) normierten Höchstarbeitszeiten von 8 Stunden pro Tag und die unterbrechungsfreien Ruhezeiten von 11 Stunden zwischen Arbeitsende und Arbeitsbeginn in der Diskussion. Während von Arbeitgeberseite eine Änderung des Rechtsrahmens für mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit im Sinne von Unternehmen und Beschäftigten für notwendig erachtet wird (vgl. u.a. Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber (BDA) 2015), verweisen die Gewerkschaften auf ausreichende Flexibilisierungsspielräume des Arbeitszeitgesetzes und auf die Notwendigkeit, mit täglichen Höchstarbeitszeiten und ausreichenden Ruhezeiten den Gesundheitsschutz der Beschäftigten auch in einer digitalisierten Arbeitswelt zu gewährleisten (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) 2016). Angesichts erweiterter Möglichkeiten der zeitlichen Inanspruchnahme der Arbeitnehmer/innen, die mit der Nutzung mobiler digitaler Arbeitsmittel einhergehen, wird von Gewerkschaftsseite zudem ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“ für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als geboten erachtet. (vgl. Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) 2017).

Ziele und Regelungsinstrumente des Arbeitszeitgesetzes

Das Spannungsfeld zwischen der Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung und der Verbesserung der Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten ist der Zweckbestimmung des Arbeitszeitgesetzes bereits immanent. Um das in § 1 Abs. 1 ArbZG normierte Schutzziel der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erreichen, beschränkt das Gesetz die maximal zulässige tägliche Arbeitszeit (§ 3 ArbZG), verlangt regelmäßige Ruhepausen während der Arbeitszeit (§ 4 ArbZG) und regelt die Mindestruhzeiten zwischen Beendigung und Wiederaufnahme der täglichen Arbeit (§ 5 ArbZG). Um dennoch flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen, lässt das ArbZG unter bestimmten Bedingungen eine Abweichung von den Regelnormen durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln zu (§ 7 ArbZG) und verlangt bei einer im Arbeitszeitgesetz zulässigen Flexibilisierung zugunsten der Arbeitgeber eine Kompensation längerer Arbeits- und kürzerer Ruhezeiten innerhalb bestimmter Ausgleichszeiträume. Wenngleich über die Erforderlichkeit der genannten Regelungsziele und über die Sinnhaftigkeit der Regelungsinstrumente auch in Zeiten der Digitalisierung weitgehend Einigkeit besteht, entzünden sich die Debatten über ihre konkrete Ausgestaltung.

Höchstarbeitszeiten

In Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung steigt die Vernetzung und der Bedarf an Kommunikation und Abstimmungsprozessen insbesondere bei weltweit tätigen Unternehmen. Diese werde nach Ansicht der Arbeitgeberverbände „in manchen Fällen durch gesetzlich vorgegebene tägliche Höchstarbeitszeiten erschwert“ (Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber (BDA) 2015: 3). Deshalb solle anstelle einer täglichen Höchstarbeitszeit von 8 Stunden eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden festgelegt werden, wie dies nach der EU-Arbeitszeitrichtlinie zulässig wäre. Damit könnte die Arbeitszeit flexibler auf die Wochentage verteilt und unter Berücksichtigung von Pausen (45 Minuten) und Ruhezeiten (11 Stunden) die an einem Arbeitstag zulässige Höchstarbeitszeit auf bis zu 12 Stunden und 15 Minuten ausgedehnt werden. Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht werden über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeiten jedoch kritisch bewertet. Verlängerte Arbeitszeiten wirken sich nach dem Erkenntnisstand der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) negativ auf die Gesundheit aus, erhöhen das Unfallrisiko und vermindern zudem die Arbeitsproduktivität (vgl. Beermann et al. 2018: 29). Eine generelle Ausweitung von täglichen Höchstarbeitszeiten über den bisher möglichen Umfang hinaus würde deshalb mit dem Zweck des Arbeitszeitgesetzes, der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten, in Konflikt geraten.

Ruhezeiten

Eine weitere strittige Frage dreht sich um die im Arbeitszeitgesetz geregelten Ruhezeiten. Einheitliche Arbeitszeitmuster, wie der Achtstundentag zwischen 7 und 19 Uhr von Montag bis Freitag, gehören für viele Beschäftigte der Vergangenheit an. Durch orts- und zeitflexibles Arbeiten werden Arbeitszeiten oft nicht mehr am Stück erbracht, sondern durch privat genutzte Zeiten unterbrochen. Somit verschiebt sich die Arbeit zum Teil an die zeitlichen Randlagen am Abend und in den (frühen) Morgen oder gar auf das Wochenende. Arbeitswissenschaftliche Studien zeigen, dass die Arbeit mit unterbrochenen Arbeitszeiten und Arbeit zu „unüblichen Zeiten“ die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinträchtigen und sich negativ auf die Work-Life-Balance auswirken (vgl. Beermann et al. 2018: 30f.) Wenn aufgrund familiärer Betreuungsarbeit die berufliche Arbeit zum Teil abends erledigt und im Homeoffice beispielsweise zwischen 20 und 22 Uhr gearbeitet wird, kann dies auch die Ruhezeiten tangieren. Nach den geltenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes darf die Arbeit im am nächsten Tag frühestens nach 11 Stunden Ruhezeit wieder aufgenommen werden – im genannten Beispiel also ab 9 Uhr. Damit werden flexible Arbeitszeitarrangements mit unterbrochenen Arbeitszeiten und der Arbeit an den zeitlichen Randlagen teilweise beschränkt. Nach dem arbeitsmedizinischen Erkenntnisstand ist jedoch eine ausreichende Ruhezeit für eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung elementar. Ruhezeiten von weniger als 11 Stunden gehen mit verstärkten gesundheitlichen Beschwerden einhergehen – vor allem dann, wenn der zur Verfügung stehende Zeitraum für Schlaf und Erholung durch Pendelzeiten und familiäre Verpflichtungen sich noch weiter reduziert (vgl. Beermann et al. 2018: 26).

Erweiterte Erreichbarkeit

Die Nutzung von Smartphones und Tablets ermöglichen eine erweiterte Erreichbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Vorgesetzte, Kollegen und Kunden auch außerhalb regulärer Arbeitszeiten. Nach einer Studie des BKK-Bundesverbandes führen rund 15 Prozent der Beschäftigten täglich oder mehrmals die Woche in ihrer Freizeit dienstliche Telefonate oder bearbeiten E-Mails (vgl. Richter et al. 2017: 111). Da dies oftmals nach Arbeitsende am Abend erfolgt, stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob durch das Schreiben einer E-Mail oder einem kurzen Telefonat die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit unterbrochen wird und damit der Arbeitsanfang erst 11 Stunden nach der letzten Ruhezeitunterbrechung möglich wäre. Während in der rechtswissenschaftlichen Literatur einige Autoren eine geringfügige Unterbrechung als den Erholungszweck der Ruhezeiten unschädliche Arbeitszeit qualifizieren, wird von anderer Seite eingewandt, dass jegliche Arbeitstätigkeit als erbrachte Arbeitszeit zu bewerten sei und eine andere rechtliche Einordnung dieses Sachverhalts angesichts der bisherigen Rechtsprechung vor dem Europäischen Gerichtshof kaum Bestand hätte (vgl. Krause 2016: B42). Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht sind insbesondere ungeplante Zeiten arbeitsbezogener Erreichbarkeit als problematisch einzustufen. „So deuten mehrere Untersuchungen darauf hin, dass die ständige Erreichbarkeit und Arbeit außerhalb der regulären Arbeitszeit mit einer verstärkten Beeinträchtigung des Privatlebens durch die Arbeit, einer reduzierten Fähigkeit von der Arbeit abzuschalten, vermehrtem Stresserleben, einem höheren Risiko für Burnout und gesundheitlichen Beschwerden verbunden ist.“ (Beermann et al. 2018: 27)

Wie gezeigt, steht ein Mehr an Arbeitszeitflexibilität im Konflikt zu einem ausreichenden Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Maßnahmen eine Auflösung der Spannungsfelder in einer digitalisierten Arbeitswelt gelingen kann, war unter anderem Gegenstand des Dialogprozesses Arbeiten 4.0 unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 2017). Von Seiten der Wissenschaft wurde bereits eine Reihe von Vorschlägen hierzu in die Diskussion eingebracht, wie auf Basis erweiterter tarifvertraglicher Regelungen eine konditionierte Flexibilisierung mit zusätzlichen Spielräumen und einer gleichzeitigen Begrenzung auf das erforderliche Maß gelingen kann oder sich Arbeitszeitflexibilisierung mit mehr selbstbestimmtem Arbeiten und einer Begrenzung von Belastungen und Verfügbarkeit verknüpfen lässt (vgl. hierzu beispielhaft Däubler 2018; Krause 2016). Im Projekt TransWork werden im Weiteren hierzu Good-Practice gesammelt und Gestaltungs- und Regulierungsansätze unter Einbindung von Expertenforen entwickelt.

Literaturverzeichnis

Beermann, Beate; Amlinger-Chatterjee, Monischa; Brenscheidt, Frank; Gerstenberg, Susanne; Niehaus, Michael; Wöhrmann, Anne M. (2018): Orts- und zeitflexibles Arbeiten: Gesundheitliche Chancen und Risiken. 2. Auflage. Hg. v. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dortmund/Berlin/Dresden.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hg.) (2017): Weißbuch Arbeiten 4.0. Berlin.

Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber (BDA) (2015): Chancen der Digitalisierung nutzen. Positionspapier der BDA zur Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt. Mai 2015.

Carstensen, Tanja (2015): Neue Anforderungen und Belastungen durch digitale und mobile Technologien. In: WSI Mitteilungen 68 (3), S. 187–193.

Däubler, Wolfgang (2018): Reform des ArbZG: Flexibilität und Arbeitnehmerschutz. In: Der Betrieb (21), M28-M29.

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) (2016): Arbeitszeiten: Schon heute flexibel und fair möglich. Online verfügbar unter http://www.dgb.de/themen/++co++2771b248-f65c-11e5-bbaa-52540023ef1a, zuletzt aktualisiert am 2016, zuletzt geprüft am 11.03.2019.

Krause, Rüdiger (2016): Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf. Gutachten B zum 71. Deutschen Juristentag. Essen: C. H. Beck (Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Band I: Gutachten / Teil B).

Richter, Matthias; Kliner, Karin; Rennert, Dirk (2017): Ergebnisse der BKK-Umfrage „Digitalisierung, Arbeit und Gesundheit“. In: Franz Knieps und Holger Pfaff (Hg.): Digitale Arbeit – digitale Gesundheit. Zahlen, Daten, Fakten : mit Gastbeiträgen aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (BKK Gesundheitsreport), S. 105–124.

Schwemmle, Michael; Wedde, Peter (2012): Digitale Arbeit in Deutschland: Potenziale und Problemlagen. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung Medienpolitik.

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) (2017): Arbeiten 4.0: Gute digitale Arbeit. ver.di-Stellungnahme zum Weißbuch Arbeiten 4.0 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.